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Canossa


Nachwort






Die Zeitreise ins ferne 11. Jahrhundert, das Eintauchen in das bewegte Leben des deutschen Königs Heinrich IV. und seiner Mitstreiter wie Widersacher, ist für mich, den Erzähler, zugleich eine Reise zu den Orten der Jugend.


  


Stiftsruine der alten Reichsabtei in
Bad Hersfeld

Ich bin in Bad Hersfeld geboren und auf dem Tageberg aufgewachsen. Während meiner gesamten Schulzeit durchquerte ich täglich den ehemaligen Klosterbezirk mit seiner großen romanischen Stiftsruine, hörte am jährlichen Gründungsfest der über 1200 Jahre alten Stadt die älteste noch funktionierende Glocke Deutschlands: Ihr Klang führt direkt in die Epoche des salischen Königs, in der das Reichskloster Hersfeld in Reichtum und im Ansehen seiner Bibliothek durchaus mit Fulda konkurrieren konnte.

Der Klang der Glocke erinnert zudem an das Leben eines Mönchs, der hier gelebt und geschrieben hat: Lampert von Hersfeld. Seine Annalen stellen die Hauptquelle zum Leben König Heinrichs IV. bis zu den Tagen von Canossa dar.

Als Sohn einer traditionsbewußten Familie, deren Ursprünge bis in das Hersfelder Mittelalter zurückreichen, und Schüler der Alten Klosterschule wurde ich früh mit der Geschichte der Stadt konfrontiert.

Während meiner ersten Jahre im Gymnasium gelang es unserem Geschichtslehrer, uns den trockenen Stoff der mittelalterlichen Herrscher auf eine ebenso simple wie erfolgreiche Weise nahezubringen: Er erzählte Geschichte, das heißt, er löste sie in Anekdoten mit ›human touch‹ auf, in fesselnde Szenen, in denen sich pralles und buntes Leben nachvollziehbar abspielte. Er betonte die Erlebnisperspektive der handelnden Figuren, malte die schicksalhaften Begegnungen aus, stellte die melodramatische Situation in den Vordergrund – und hatte unsere Aufmerksamkeit gefangen. Unversehens war Geschichte nicht mehr eine mühsam auswendig zu lernende Abfolge von Königen und Kaisern, die meist Karl, Otto, Heinrich oder Friedrich hießen, nicht mehr die Ansammlung abstrakter Begriffe wie Investiturstreit, Wahlkönigtum, Lehnsrecht, Ministerialität: Geschichte verwandelte sich in einen Kosmos konkreter, gefühlsintensiver und abenteuerlich-fremder Geschichten, kurz: Geschichte wurde zum Roman.

Der »Gang nach Canossa« ist in der deutschen Sprache ein stehender Begriff. Sucht man nach materiell faßbaren Zeugnissen der Epoche, die unter dem Stichwort »Investiturstreit« in die Geschichtsbücher eingegangen ist, steht man, so man überhaupt fündig wird, meist vor Ruinen wie der Hersfelder Stiftsruine. Man findet den Dom zu Speyer mit den Gräbern der salischen Kaiser. Mehrfach umgebaut und restauriert, stellt er das beeindruckendste steinerne Zeugnis der damaligen Zeit in Deutschland dar.

Von der Harzburg stehen nur noch Überreste, die viel Phantasie vom Betrachter erfordern. Die Reichspfalz zu Goslar vermittelt dagegen ein anschaulicheres Bild damaligen Residierens. Das Schlachtfeld an der Unstrut suchte ich vergeblich. Nördlich von Bad Langensalza erstrecken sich Felder, begrenzt von Baumreihen: Hier ist, wie bei so vielen anderen Schlachtfeldern, das blutige Ereignis versunken, ohne materielle Spuren vor Ort zu hinterlassen.


Die heutige Burgruine von Canossa im Regen
Während der Planungsphase des Romans reiste ich auch zur Burg von Canossa, die sich südlich von Reggio nell‘ Emilia im idyllischen Hügelland des Apennin erhebt. Die Burg wurde seit dem 11. Jahrhundert mehrfach zerstört, ein oder mehrere Erdrutsche haben zudem die Physiognomie des Hügels stark verändert. Zurückgeblieben ist ein eher kleiner Kegel mit Resten alter Mauern.

Als ich Canossa zum ersten Mal abends um sieben Uhr erreichte, verschloß der Wärter soeben den Eingang. Es herrschte trübes, regnerisches Wetter; verloren studierte ich ein bescheidenes Erinnerungsschild der Markgräfin Mathilde, das an einer ebenso bescheidenen Trattoria angebracht war. Hinter mir langweilte sich ein leerer Parkplatz. In der Ferne verschwammen weitere Burgen und Hügel im Dunst.


In der Burgruine von Canossa
Wenige Tage später suchte ich Canossa erneut auf: Diesmal tagsüber, im Sonnenschein. Als einziger Besucher schob ich mich durch die Ruinen, schaute in das kleine Museum: Schwer nachvollziehbar, daß hier oben ein welthistorisches Ereignis hatte stattfinden können. Ein Jahrhundertwinter mit unendlichen Schneemassen und einem zugefrorenen Po, wie er zweifelsfrei überliefert ist, war ebenfalls nur mit Mühen auszumalen.

In der Ferne dieser seltsame Tafelberg. Schafe weideten als kleine Punkte auf einer saftigen Wiese, die Hügelidylle leuchtete im Frühlingsgrün, und die Burg träumte in pastoraler Umgebung vor sich hin.

Was an Canossa der Erosion der Zeit standgehalten hat, ist dennoch ein treffendes, weil karges Zeichen der damaligen Epoche. Denn das populäre, häufig bunte und wenig finstere Mittelalterbild, das unsere Köpfe füllt, ist entstanden aus Quellen und Zeugnissen des hohen, meist sogar späten Mittelalters und läßt sich kaum auf die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts übertragen. All das, woran wir in erster Linie denken und was dieses Bild bestimmt, entwickelte sich damals erst aus zaghaften Anfängen: Dies gilt für die über ganz Europa verstreuten, meist im historisierenden 19. Jahrhundert grundlegend restaurierten oder wieder aufgebauten Burgen; es gilt ebenso für die pittoresk verwinkelten Städte. Auch die mittelalterlichen Ritterspiele und Märkte, Filme und Romane mit Turnierkampf und Minnesang, Kreuzritterfuror und Schwarzem Tod, mit blondgezopften Burgfräulein und schwertschwingenden Tristan-Lancelots, mit aufgeklärten Detektivmönchen und finsteren Hexenverfolgern beziehen sich auf eine Zeit nach der revolutionären Epochenwende des 11. Jahrhunderts. Selbst die vielfältigen religiösen Bewegungen und Orden entwickelten sich nach der Anstoßepoche von Cluny erst im 12. und 13. Jahrhundert.

Im 11. Jahrhundert duzte man sich generell im deutschen Sprachraum bzw. im Latein der Kleriker; Ausnahmen forderten Papst und König, die häufig den pluralis majestatis benutzten und auch mit »Ihr« angeredet, besser: angeschrieben wurden. Zu dieser Zeit fanden sich in »Deutschland« (das Wort »deutsch« im heutigen Sinn entwickelte sich damals erst) kaum Steinhäuser, abgesehen von den alten Römerorten kaum Städte, die den Namen verdienten, die Phase der Rodung und Urbarmachung hatte erst begonnen, Handel und mit ihm Geldverkehr steckten in den Kinderschuhen. Es gab weder eine überlieferte volkssprachliche Literatur noch ein ritterliches bzw. »höfisches« Wertsystem, die Kleidung hatte sich seit Jahrhunderten kaum geändert. Erst mit der Bevölkerungsexplosion und der sozialen wie kulturellen Dynamisierung des 12. Jahrhunderts strebte Mittel-, West- und Südeuropa auf das literarisch so ungemein fruchtbare »Hochmittelalter« zu, das sich dann in weiteren drei Jahrhunderten ›spätmittelalterlich‹ entfaltete und die Grundlage legte für die Neuzeit.

Das 11. Jahrhundert hat uns, verglichen mit dem 13. bis 15. Jahrhundert, wenig Zeugnisse und Quellen hinterlassen. Die Annalen und Berichte der damaligen Zeit sind von Mönchen geschrieben, also aus einer spezifischen Sicht, der das Interessse an Alltag und Alltäglichem völlig fehlt. Geschichte war Heilsgeschichte: ein Bemühen um ›Objektivität‹ und ›Wirklichkeitsnähe‹ lag außerhalb des damaligen Bewußtseins. So sind auch die zentralen Quellen über die Ereignisse und die Personen, die in dem Roman eine Rolle spielen, offenkundig voreingenommen, bis hin zu Lobeshymnen oder Verleumdungen. Es nimmt daher nicht wunder, daß die Geschichtswissenschaft sich über die Darstellung und Bewertung der zentralen Charaktere alles andere als einig ist.

Für den Romancier folgt daraus, daß er aus dem spärlichen und wenig objektiven Material ein eigenes Bild entwerfen muß: die Wahrheit seiner Geschichte.

Bei all dieser Relativierung möchte ich betonen, daß der Roman Canossa sich weitgehend an die historisch unstrittigen Daten hält, selbstverständlich in einer dramaturgisch gebotenen Vereinfachung der Personenzahl und der politischen Verwicklungen, in einer Zuspitzung der Handlung sowie einer Ausmalung der Leerstellen.

Bis auf eine einzige sind alle zentralen Personen des Romans historisch verbürgt. Die jeweiligen Jahresdaten wurden im großen und ganzen eingehalten. In die Reden, Dialoge und Gedanken sind zahlreiche wörtliche Zitate, Bilder und Metaphern aus den mittelalterlichen Quellen eingewoben. Sobald die Quellen konkret wurden, habe ich ihre Details aufgegriffen (so zum Beispiel die Ereignisse in Kaiserswerth, Lamperts Schilderung von der winterlichen Überwindung des Passes am Mont Cenis, der Cencius-Überfall auf den Papst während der Messe, die Art und Weise, wie Gottfried der Bucklige zu Tode kam und viele andere). Bei den zahlreichen fragwürdigen Berichten habe ich versucht, zwischen der mir vorstellbaren historischen Wahrheit und den Erfordernissen der Romanhandlung einen Weg zu finden. Dies gilt für die angeblichen sexuellen Ausschweifungen des jungen Heinrich wie für die angeblichen Bettgeschichten des Papstes.


Heinrich IV. erlitt ein extremes Schicksal und hatte sein Leben lang zu kämpfen: Daher schwankt sein Charakterbild in der Geschichte wie in der Geschichtswissenschaft – bis heute. In meinen Augen ist er ein eher positiver, allerdings tragischer Held, und entsprechend habe ich ihn zu zeichnen versucht.

Sein Gegenspieler, Papst Gregor, der »heilige Satan«, wird selbst von seinen Anhängern skeptisch gesehen: Man attestiert ihm ein nahezu alttestamentarisches Sendungsbewußtsein, gleichzeitig Herrschsucht, sture Rechthaberei bei gleichzeitiger Neigung zu sentimentalen Tränenausbrüchen.

Insbesondere Mathilde wird nicht nur als attraktiv, klug und zupackend, sondern auch als hochfahrend und berechnend geschildert. Was Lampert angeht, so war seine Einstellung zu Heinrich, wie den offiziellen Annalen unmißverständlich zu entnehmen ist, nicht so positiv wie in den geheimen Annalen, die erst jetzt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Der historische Roman lebt davon, daß er anschaulich und fesselnd zeigen soll, wie das Leben vergangener Zeiten war und, darüber hinaus, wie es gewesen sein könnte. Je nach Überlieferung, Dramatik historischer Abläufe und erzählerischer Absicht zielt man als Autor mehr auf Authentizität oder mehr auf Ausschmückung. Selbst der streng wissenschaftliche Historiker kommt ohne deutende Phantasie nicht aus; für den Romancier ist sie ein Muß, denn er will das Bekannte, Vermutete und Vorstellbare nach den Gesetzen einer in sich stimmigen, menschlich anrührenden, dramatisch zugespitzten, kurz: spannenden und überzeugenden Geschichte gestalten.

Die Vermittlung einer so fernen Zeit wie des mittelalterlichen 11. Jahrhunderts, in der das Lebensgefühl sich stark von dem heutigem unterschied, stellt den schwierigen Versuch dar, eine (schwankende) Brücke zu schlagen zwischen dem Fremden und dem uns Naheliegenden, zwischen der Sprache der Quellen, der wissenschaftlichen Rekonstruktion der vergangenen Mentalität und dem heutigen Lebensgefühl, den heutigen Deutungsmustern und emotionalen Reaktionen. Da wir über den Alltag wie über das Gefühlsleben wenig Gesichertes wissen, gar nicht zu reden von dem Unausgesprochenen (oder ›Unbewußten‹), die Darstellung ›runder‹ Charaktere jedoch die Vermittlung zeitgemäßer psychologischer Denkmuster verlangt, wird man als Romancier von einer Hypothese des ›Allgemein-Menschlichen‹ ausgehen: Auch damals haben sich die Menschen einsam gefühlt, sich sterblich verliebt, brachten Opfer, zitterten vor Angst.

Darüber hinaus ist anzunehmen, daß sie sich impulsiver verhielten als die Menschen heute. Ihr Denken war uneingeschränkt von christlichen Selbstverständlichkeiten bestimmt und zugleich ›magisch‹ oder abergläubisch. Sie sahen überall göttliche Zeichen, fürchteten Verwünschungen, das geheimnisvolle Wirken böser Mächte und die ewige Verdammnis in der Hölle; zugleich suchten sie ihr jenseitiges Heil. Ich habe versucht, diesen Aspekt des Denkens und Fühlens deutlich zu machen.

Das Verhältnis von (persönlicher) Treue und Verrat war konstituierend für die ›politischen‹ wie allgemein zwischenmenschlichen Beziehungen. Da Heinrich IV. sein Leben lang unter Verrat leiden mußte, spielt dieses Thema eine zentrale Rolle in dem Roman. Betrachtet man sein Verhältnis zu den Fürsten und wirft gleichzeitig einen Blick auf heutige Berichte aus Ländern mit archaischeren sozialen wie politischen Strukturen, so kann man manche Vergleiche ziehen. In diesem Sinne gehört das Widerspiel von Treue und Verrat zum ›Allgemein-Menschlichen‹, zum Grundbestand der conditio humana.


Hinweise zur Literatur

Ein Wort noch zu den Quellen und zu der Literatur, die ich benützt habe. Einen auch nur annähernd vollständigen Blick auf die verwendete Literatur zu geben, würde zu einer seitenlangen Literaturliste führen, was nicht Sinn eines Romannachwortes sein kann. Hinweisen möchte ich dennoch auf die verwendeten Quellensammlungen der Freiherr von Stein-Gedächtnisausgabe: Darunter natürlich Lampert von Hersfelds Annalen, die Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV., die weitere Lebensberichte sowie seine Briefe enthalten, die beiden Bände zum Investiturstreit, in denen die Korrespondenz Gregors VII. und Streitschriften gesammelt sind. Andere Quellen wie Adam von Bremens Gesta wurden herangezogen sowie die soeben erschienenen Quellen zur Alltagsgeschichte im Früh- und Hochmittelalter.

Eine Aufsatzsammlung zu Canossa als Wende erschien bereits vor gut zwei Jahrzehnten in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft. Über das Leben Heinrichs IV. informiert Ernst W. Wies in seiner Biographie, über Mathilde Paolo Golinelli in seinem Buch Mathilde und der Gang nach Canossa sowie Vito Fumagalli. Über Gregor VII. erschien kürzlich eine Monographie von Uta-Renate Blumenthal. Werner Goez schreibt in seinen Gestalten des Hochmittelalters anschaulich über ihn wie über Mathilde und Benno von Osnabrück. Die Aufsatzsammlung von Horst Fuhrmann: Einladung ins Mittelalter enthält eine Menge nützlicher Informationen. Lebendig liest sich S. Fischer-Fabians Die deutschen Kaiser. Grundlegend zu der Salierdynastie ist Egon Boshofs Die Salier sowie Stefan Weinfurters Herrschaft und Reich der Salier. Der Katalog zur großen Salierausstellung in Mainz (1992, Das Reich der Salier) und mit ihm die von Stefan Weinfurter herausgegebene Buchreihe Die Salier und das Reich stellen ebenfalls zahlreiche nützliche Informationen zusammen und beleuchten wichtige Aspekte der Epoche.

Da die Forschungen zur Alltagsgeschichte während der letzten Jahrzehnte im Vordergrund der Forschung standen, habe ich eine ganze Reihe von Werken heranziehen können. Wie bereits angedeutet, beziehen sie sich in der Hauptsache auf das Hoch- und Spätmittelalter ab 1150 und streifen nur das 11. Jahrhundert. Zu nennen sind Peter Dinzelbacher (Europa im Hochmittelalter 1050 – 1250), Ernst Schubert (Alltag im Mittelalter), Hans-Werner Goetz (Leben im Mittelalter), Vito Fumagalli (Wenn der Himmel sich verdunkelt), Joachim Bumke (Höfische Kultur), Otto Borst (Alltagsleben im Mittelalter) sowie die Standardwerke von Arno Borst und Jacques Le Goff. Nicht aufgezählt werden können die Lexika und Darstellungen zur Geschichte der Mode, zum Reisen, zum Leben der Bauern und Frauen, der Vaganten und Mönche, zum religiösen Leben, zu den Eßgewohnheiten, zu Krankheiten und Katastrophen usw. Hervorzuheben ist aber noch neben der Bibel und älteren Messe-Brevieren das neunbändige absolut unverzichtbare Lexikon des Mittelalters, das mittlerweile als Paperback-Ausgabe bei dtv vorliegt und zu allen Themen die wichtigsten Informationen bereitstellt.


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