Beginn
der
Erzählung
Weiß.
Grellweiß wie der letzte
Schmerz, der Kopf und
Glieder
zerspringen lässt.
Sanftweiß wie das
Vergessen, das all die
bunten Lichter des
Lebens verschluckt, wie
das Leinentuch, das über
den leblosen
Körper gezogen
wird.
Eine im Sonnenlicht
gleißende, im
Flockenwirbel ins Graue
spielende Fläche, in die
verschwimmende Ferne
gezogen,
Schneemassen, die Hügel
und Felder bedecken, die
Ebene ununterscheidbar
machen, dazu eine
Kälte, die
den großen Fluss zu Eis
erstarren lässt, so dass
Pferde,
Sänftenträger und
ganze Heere darauf
entlangstapfen können.
In der Ferne sieht sie
schwarze Pünktchen, zu
Beginn so
klein wie Vogelkot, dann
fast unmerklich
anwachsend – ja, sie
bewegen
sich, die
Pünktchen werden zu
schwarzen Flecken, zu
einer langen Reihe von
Menschen und
Tieren.
Er zieht heran,
Heinrich, der Vierte
seines Namens, der
König der Deutschen aus
dem Geschlecht der
Salier, ihr Vetter, der
geliebte
Spielgefährte ihrer
Kindheit.
Nun kann sie Mensch und
Tier unterscheiden. Die
Rüstungen
bündeln die Strahlen der
kalten Sonne und
schicken sie wie
blitzende Pfeile
über das Land. Immer
mehr Reiter erkennt sie,
müde vom langen
Ritt, die Pferde
mit hängenden Köpfen,
zwischen ihnen die
Sänften der
lombardischen Bischöfe,
die König Heinrich
unterstützen, ihn
drängen, die Burg
von Canossa zu erobern
und Papst Gregor, der
hier als ihr
Schutzbefohlener
Zuflucht gefunden
hat,
gefangenzunehmen und
abzusetzen.
In
ängstlicher Erwartung,
zugleich mit freudigem
Bangen
sieht Mathilde,
Markgräfin von Tuszien
und Canossa, König
Heinrich entgegen,
den sie immer
sehnsüchtig geliebt hat,
von dem sie sich jedoch
schweren Herzens
hatte lossagen müssen.
Zu vergeblich schien ihr
die Liebe, zu
drängend das
Bedürfnis, ihr
Seelenheil zu retten.
Sie sieht die
Formationen seiner zu
Heeresstärke
angeschwollenen
Gefolgsleute. Sie sieht
sogar Bertha,
die treue
Ehefrau und Königin, den
dreijährigen Konrad auf
dem Arm. Als
der Kleine
Mathilde zuwinkt, fliegt
sie ihm entgegen, sie
spürt nicht die
Schärfe des
Winds und die Kälte der
Flocken, fast geblendet
vom
gleißenden Schnee
erreicht
sie die königliche
Familie und umarmt König
und Kind, ja, sie
nimmt Bertha den
Buben aus dem Arm, sie
entreißt ihn ihr
förmlich. Der Kleine
juchzt auf und
strahlt. Zu dritt ziehen
sie der hochaufragenden
Burg entgegen,
Heinrich und
sie und der kleine
Konrad; Bertha ist
nirgendwo mehr zu sehen.
Hochrufe
und
Jubel schallen ihnen
entgegen, selbst der
Papst hebt seine Hand
zum
Segen.
Im
Aufwachen, bei
schmerzenden Gliedern im
noch kalten,
zugigen Raum, unter
feuchten Federn und
Laken, erschien Mathilde
das
Bild, das
sich ihr eingebrannt
hatte wie kein anderes
in ihrem Leben: König
Heinrich im
Schnee vor Canossa, vor
der dritten
Umfassungsmauer ihrer
uneinnehmbaren Burg,
im härenen Gewand – so
würde es später heißen,
so
schickte man die
Botschaft in
die Welt –, barhäuptig
und barfuß lag der Büßer
im Schnee, gestand seine
Sünden
und flehte den Heiligen
Vater Gregor VII. um
Gnade an, um vom
Bannfluch
der
Exkommunikation erlöst
zu werden.
...
Markgräfin Mathilde
versuchte, sich endgültig
aus dem immer
wiederkehrenden Traum und
ihren bedrängenden
Erinnerungsgedanken
zu befreien,
denn es galt, eine letzte,
wichtige Aufgabe zu
erfüllen. Man
schrieb das Jahr
des Herrn elfhundertelf,
gut 34 Jahre lag Heinrichs
Bußgang nun
zurück,
Mathilde stand in ihrem
65. Lebensjahr. Nach einem
gebetsreichen Winter
im
Kloster von Polirone war
sie, geplagt von Gicht und
heftigen
Rückenschmerzen,
nach Canossa
zurückgekehrt, um dort den
jungen, soeben in Rom zum
Kaiser
gekrönten Heinrich, den
Fünften seines Namens, mit
offenen
Armen und in großzügiger
Gastfreundschaft zu
empfangen. Ja, sie sehnte
den Tag herbei, an dem
sich sein
Sohn im Frühlingsgrün
ihrer Burg näherte. Der
Sohn, den
sie sich immer gewünscht
hatte. Es würde der Tag
ihrer Erlösung werden.
...