Obschon
Winter und Lenz ins Land gegangen sind, seitdem
unser Herrscher aus dem Tal der Tränen
hinüber zu den Wonnen der Engel wanderte,
so martert mich noch immer der Schmerz über
den Verlust des Hortes von Gerechtigkeit und
Frieden, Einigkeit und Stärke. Denn seit
seinem Dahinscheiden herrscht Unfrieden im Reich:
Alte Fehden brechen auf zwischen Männern,
die das Wort Treue im Mund führen wie die
Krähe ihr Krächzen und die dennoch
zu jedem Verrat bereit sind, so er sich auszahlt
mit Macht und Reichtum; Herzöge zücken
ihre Schwerter gegen die bischöflichen
Knechte Gottes, das Recht wird mit Füßen
getreten, und wölfische Wildheit, in Schafskleidern
versteckt, paart sich mit Widerspruch und Aufsässigkeit.
Mit dem Propheten Hosea möchte ich ausrufen:
Gotteslästern, Morden, Stehlen und Ehebrechen
nehmen überhand, und eine Blutschuld kommt
nach der anderen.
Wurden nicht sogar, kaum hatten wir den Kaiser
zu Grabe getragen, feige Mordpläne gegen
seinen zu Aachen gesalbten Nachfolger geschmiedet?
Die Schwurhand möge denen abfallen, die
sie zu erheben wagen gegen Heinrich, das reine
Kind, den Sohn seines Vaters, den vierten König
der ostfränkischen, der deutschen Lande
und zukünftigen Kaiser des großen
römischen Reichs. Denn sie schwächen
die ewige Ordnung, verkörpert durch König
und Kaiser an der Spitze eines Gebäudes,
über dem lediglich der Allmächtige
schwebt und die Fittiche seiner Gunst und Gnade
ausbreitet.
Indes, wer bin ich, der ich es wage, mir die
Stimme des Propheten in den Mund zu legen, mit
wohlgesetzten Worten zu trauern und zu wehklagen!
Ein kleiner Mönch nur, Lampert, geboren
zu Bamberg, erzogen in der dortigen Domschule,
ehmals Scriptor im Gefolge des verehrten Erzbischofs
Anno von Köln, zum Diener des Herrn geweiht
dortselbst doch nun in die Ferne verbannt,
ins Kloster Hersfeld, an einen Ort stiller Andacht
und kontemplativer Würde, gelegen im lieblichen
Tal der Fulda, umgeben von undurchdringlichen
Wäldern, in denen nächtlich die Wölfe
heulen, die Bären ihre Krallen wetzen und
der mächtige Auerochs durchs Dickicht bricht.
So sehr ich den Geruch der Weisheit in der hiesigen
reichhaltigen Bibliothek zu schätzen weiß,
so sehr fühle ich mich nach alldem, was
im Laufe des letzten Jahrs geschah, unwürdig
des heiligen Gewands. Aus diesem Grund geht
mein Streben dahin, Buße zu tun und mich
auf einer Pilgerfahrt ins zwölftorige Jerusalem
reinzuwaschen von meinen Sünden.
Doch will ich nicht von mir sprechen, von meinen
Verfehlungen, dem wollüstigen Verlangen,
dem ich nachgab und das zu bestrafen der Allmächtige
sich unverzüglich anschickte; nicht vom
Mönch Lampert soll die Rede sein, sondern
von den beklagenswerten Absichten, die ans Licht
der Tat drängten, nachdem die starke Hand
des Herrschers der Zeitlichkeit entrückt
war.
Noch während bei der Grablegung des Kaisers
das Gloria erscholl im hallenden, himmelweisenden
Dom zu Speyer, wurden bereits schändliche
Pläne ersonnen, den jungen König Heinrich
zu beseitigen. Es waren die sächsischen
Adligen, für ihre Streitlust und Aufmüpfigkeit
bekannt, denen weder Ehre und Treue etwas galten
noch die Unschuld eines jungen Lebens. Bald
wußten dies alle, die willig waren, ihr
Ohr den Gerüchten zu leihen, die von Mund
zu Mund eilten.
Es finden sich gleichwohl auch unter und neben
den Sachsen Fürsten, denen der Treueid
heilig ist. Sie befürchteten einen Aufstand
in den nördlichen Gauen des Reichs, gar
das Ungewitter eines Bürgerkriegs, das
die Menschen im Kampf dahinmäht wie Hagel
die reifen Saaten. Um dieses Unglück im
Keim zu ersticken, rieten sie dem König,
nach Sachsen zu eilen, die Aufrührer zu
stellen und zu bestrafen. Der Schwabe Graf Rudolf
von Rheinfelden, einer der engsten Berater der
Kaiserin, riet zu diesem Schritt, ebenso befürwortete
ihn Anno, der Erzbischof von Köln und Erzkanzler
des Reichs, in dessen Diensten ich zu jener
Zeit noch stand. Die Kaiserin, erpicht auf den
Rat der Getreuen und als schwaches Weib allzu
leicht bereit, ihn auszuführen, brach nun
also mit dem Hofstaat nach Goslar auf, wo sie
sich auf den salischen Gütern mit Silbermünzen
und Kriegsmannen versorgen wollte, um von dort
nach Merseburg weiterzuziehen. Hier sollte ein
klärendes, ein reinigendes Fürstentreffen
stattfinden.
Ich fragte mich damals bereits, ob Erzbischof
Anno, der beanspruchte, für die Erziehung
des königlichen Knaben Sorge zu tragen,
sich der Gefahr bewußt war, der Heinrich
ohne Zwang entgegenzog. Überzeugt bin ich
davon, daß Graf Rudolf von Rheinfelden
eigene, ja, eigensüchtige Ziele verfolgte.
Starb der König durch Mörderhand,
durfte kein Verschwörer, also kein Sachse,
zu seinem Nachfolger gewählt werden, es
sei denn, man hätte den Blitz Gottes durch
solch ruchloses Vorhaben herabbeschworen. Rudolf
jedoch, bisher unbescholten und treu, stünde
bereit und da Gottfried der Bärtige,
der lange Zeit Macht und Ansehen unter den deutschen
Fürsten genoß, weit entfernt auf
Canossa, dem Stammsitz seiner Gemahlin, weilte,
hätte Rudolf nach der Krone greifen können.
Ich, ein einfacher capellanus, sah Rudolfs Augen
blitzen, hörte seine herrischen Befehle,
vernahm sogar die Einflüsterungen, mit
denen er der Kaiserin und dem königlichen
Knaben Gift ins Ohr träufelte und sie auf
den Weg ins Sachsenland lockte. Er selbst wolle,
so ließ er verlauten, ein Heer sammeln
und dem Zug des Hofes folgen, um jederzeit bereit
zu sein, das Leben und die Rechte des Königs
zu verteidigen.
Wir hatten Goslar bereits hinter uns gelassen
und näherten uns Quedlinburg. Ein hoch
in den Lüften fliegender Adler hätte
von allen Himmelsrichtungen kleine und große
Heerhaufen erspäht, die nach Merseburg
zogen, als gelte es, unverzüglich und vor
Ort das Schicksal des Reichs auszufechten. Staub
lag in der trüben Juniluft. Die Sonne brannte
hernieder, und kein Schatten, kein kühles
Naß brachten Erquickung. Die Kaiserin
ließ sich in einer Sänfte tragen,
weil ihr das Reiten zu mühsam geworden
war und eine Kutsche zu sehr schaukelte. Heinrich
indes blieb tapfer im Sattel seines kleinen
Pferdes, sang, wie so häufig, die traurigen
Lieder seiner Amme oder rief seinem Hund einen
Befehl zu. Wir alle sehnten den Abend herbei,
ein kräftiges Mahl, einen Becher klaren
Wassers, einen Humpen köstlichen Biers
und ein weiches Lager.
Da geschah vor meinen Augen weil ich
in der Spitzengruppe unseres Zuges ritt, war
ich Zeuge ein Ereignis, welches das Wirken
des allmächtigen Herrschers sogar dem ungläubigsten
Thomas bewies. Der Zug des Königs traf
mit einer Gruppe Schwerbewaffneter zusammen,
die Graf Otto von der sächsischen Nordmark
anführte, ein Mann aus unebenbürtiger
Ehe und nicht zu verwechseln mit Graf Otto von
Northeim. Neben mir ritten Graf Ekbert von Braunschweig,
der Vetter des Königs, und sein Bruder
Bruno mit einigen ihrer Mannen, denen als Vorhut
des Hofstaates der Schutz von König und
Kaiserin oblag. Zuerst glaubte niemand an den
Plan einer schandbaren Freveltat gerade hier,
auf offenem Feld. Otto jedoch, in schimmernder
Rüstung, galoppierte mit lautem Geschrei
und Schilderschlagen mitsamt seiner Truppe so
nahe an uns vorbei, daß die Pferde zu
scheuen drohten. Ekbert fluchte, Bruno schüttelte
die Faust.
»Wo ist der König?« hörten
wir Graf Otto rufen, »ich will ihm meine
Reverenz erweisen.« Höhnisch lachte
der Ehrlose und hob den Arm.
Wie eine Horde ungezügelter Slawen umtobten
uns seine sächsischen Reiter, preschten
direkt auf uns zu, als wollten sie uns attackieren,
doch knapp vor uns stemmten die Pferde ihre
Vorderhufe in den Sand.
»Hoch dem König!« grölten
die Sachsen.
Wolken von Staub stiegen auf. Ich schaute mich
um, sah den königlichen Knaben, wie er
seiner Mutter, die erschrocken den Kopf aus
der Sänfte schob, zuwinkte und seinen wild
bellenden Hund Fidus zu beruhigen versuchte.
Erzbischof Anno entdeckte ich nicht.
»Der Hurensohn möchte an meinem Schwert
riechen«, rief Bruno seinem Bruder zu.
Ekbert beugte sich zu mir herüber, damit
ich ihn in dem Höllenlärm besser verstehen
konnte. »Glaubst du, sie wagen hier und
jetzt ihren verruchten Plan?« Zum ersten
Mal sprach er in aller Klarheit aus, was viele
befürchteten, doch niemand zu äußern
gewagt hatte.
»Lang lebe die Kaiserin!« brüllte
die Bande und zog ihre Schwerter.
Mir wich das Blut aus dem Gesicht. Auch Ekbert
schien erkannt zu haben, daß die Sachsen
ihre schändliche Tat an Ort und Stelle
zu erfüllen gedachten.
»Hast du eine Waffe?« rief er.
Ich schüttelte den Kopf.
Er warf mir seine Streitaxt zu. Ich fing sie
auf. Angetrockenes Blut klebte an der schartigen
Klinge. Wußte ich mich damit zu wehren?
Hätte ich, der ich das Gelübde abgelegt
habe, mich ihrer bedient?
Haarscharf an uns vorbei galoppierte Graf Otto,
sein Schwert in der Hand, in brüllendem
Gelächter. »Lang lebe der König!«
»Ehrloser Hundsfott!« schrie ihm
Bruno nach.
Da riß Otto sein Pferd herum. Er lachte
nun nicht mehr. »Mit dir habe ich seit
langem abzurechnen, aasfressende Krähe.
Du bist der erste, mit dem meine Klinge Bekanntschaft
macht.«
Die Streitaxt hinderte mich daran, die Arme
zu heben und Frieden zu beschwören.
»Du Bastard des Teufels!«
Gleichzeitig gaben Otto und Bruno ihren Pferden
die Sporen. Sie galoppierten aufeinander zu,
als sollten sich die starken Streitrösser
gegenseitig in den Boden rammen. Kaum eine Hand
hätte zwischen den Beinen der Streitenden
Platz gefunden, als sie aneinander vorbeistürmten,
die Schwerter in den Himmel gereckt, den Schild
vor den Körper gehalten. Unverzüglich
wendeten sie.
Mittlerweile bildeten die Reiter aus der Nordmark
ein Halbrund hinter Otto, und hinter uns schlossen
immer mehr Mannen des Königs sowie des
Erzbischofs von Köln auf. Als sich Heinrich,
unser mutiger König, zwischen den Pferdeleibern
hindurchzwängte, nahmen einige von Ottos
Männern, von Fidus verbellt, ihren Bogen
in die Hand.
Selbst heute noch, zu später Stunde nach
dem abendlichen completorium, während
draußen, jenseits der Klostermauern, eine
Nachtigall ihr Lied anstimmt und ihre Brüder,
unschuldige Geschöpfe im Hain des Herrn,
in ihren Lobgesang einfallen, erfaßt mich
zitternde Angst vor der lodernden Flamme des
Hasses, die da unerwartet vor uns in den Himmel
schoß, Angst desgleichen vor der Gefahr,
die dem König drohte. Die Pfeile waren
für ihn gedacht, und vermutlich hätten
sie auch mich nicht verschonen sollen.
»Was ist hier los?« Die helle Stimme
des Königs war deutlich zu vernehmen, weil
alle Reiter, die wie feindliche Truppen einander
gegenüber standen, die Luft anzuhalten
schienen.
Bevor irgendeiner eine Antwort geben konnte,
preschten die beiden Kampfhähne erneut
aufeinander zu. Die Schwerter schlugen dumpf
auf die Schilde, die Pferde wirbelten herum,
Erde spritzte empor. Die Klingen klirrten, die
Tiere wieherten schrill, Funken stoben, als
die Kettenhemden getroffen wurden. Schon bluteten
Brunos Gesicht und Ottos Hand. Wie auf Befehl
trennten sich die Rösser, und ich hoffte,
die beiden Männer beendeten ihren Kampf.
Doch sie rissen lediglich ihre Pferde herum
und galoppierten erneut mit nach vorne gestrecktem
Schwert aufeinander zu.
Ehe wir uns versahen, lagen beide im Staub,
die Körper zuckten, Blut sickerte aus Brunos
Kettenhemd, unter dem Kinn, und Otto fehlte
ein Teil seines Kopfs. Der Helm rollte seinen
Männern vor die Füße. Ein letztes
Röcheln, Blut sprudelte wie aus einer Quelle,
und selbst ich, der neben ihnen stand, konnte
ihnen nicht mehr die Sterbesakramente spenden.
Schon kniete Ekbert neben seinem Bruder, auch
der König sprang hinzu. Ich ließ
die Streitaxt fallen, hob meine Hand zum Segenszeichen.
Bruno sprach ein letztes Wort der Tapferkeit,
dann brachen seine Augen.
Ich hatte den König in die Arme genommen,
sein Gesicht in meinem Reitkittel geborgen,
um ihm den Anblick des grausamen Todes zu ersparen.
Die Sachsen waren abgesprungen und zerrten ihren
Anführer zur Seite, bedeckten seinen Leichnam.
Um uns stummes Entsetzen und lautes Wehgeschrei.
Unterdessen waren die Kaiserin und mit ihr Anno
erschienen, und ihre Augen weiteten sich, als
sie den Vetter des Königs in seinem Blut
liegen sahen.
Graf Ekbert schüttelte die Faust. »Verschwörer!
Meuchelmörder! Ihr werdet dafür einen
hohen Preis zahlen!«
Die Sachsen beachteten ihn nicht. Stumm legten
sie ihren toten Anführer auf sein Pferd
und machten sich aus dem blutroten Staub. Für
sie hatte Gott sein Urteil gesprochen.
Hätten unsere Ritter sie nicht zum Kampf
zwingen, hätten sie nicht den Angriff auf
des Königs Mannen rächen müssen?
Graf Ekbert, über seinen Bruder gebeugt,
benetzte ihn mit seinen Tränen. Weder Erzbischof
Anno noch ein anderer Berater der Kaiserin gab
den Befehl zum Angriff. So durften die Helfer
des Verräters des Weges ziehen, ohne zur
Rechenschaft gezogen zu werden. War dies ein
folgenreiches Zeichen der Schwäche?
Noch heute möchte ich für die Seele
des tapfren Bruno beten, der ohne die Segnungen
der Kirche sein Leben in Treue hingab für
das Heil unseres Königs. Sein Scharfsinn
erkannte augenblicklich die schurkische Absicht
des ehrlosen, zum Königsmord bestimmten
Sachsen.
Wir trafen abends im Kloster Quedlinburg ein,
wo wir von der jungen Äbtissin Beatrix,
einer Halbschwester des Königs, freundlich
aufgenommen und wohlversorgt wurden. Bevor wir
uns an Speis und Trank laben durften, fanden
wir uns in der Kirche zusammen und dankten dem
gnädigen Vater im Himmel für das gütige
Geschick, mit dem er das Leben des Königs
geschützt hatte. Heinrich kniete zwischen
seiner Mutter und Anno, die beide bleich waren,
als hätte die Sichel die kalte Klinge auf
ihre Wangen gelegt. Er selbst wirkte auf eine
trotzige Weise in sich gekehrt, sprach mit niemandem,
starrte vor sich hin; nicht einmal die Lippen
bewegten sich in stummem Gebet.
Als Heinrich bereits schlief, setzten sich Erzbischof
Anno, Graf Ekbert und die anderen Verwalter
der Regierungsgeschäfte mit der Kaiserin
zusammen, um über das Geschehen und seine
Folgen zu beraten. Eine Bestrafung der Hintermänner
forderte allein Graf Ekbert; die Kaiserin fürchtete
die Flammen eines wütenden Bürgerkrieg,
und Erzbischof Anno betonte, es habe sich vermutlich
um eine private Fehde der beiden toten Kontrahenten
gehandelt, ein Attentat auf den jungen König
sei nicht geplant gewesen. Auch er wolle weiteres
Blutvergießen vermeiden. Allerdings sollten
sie nicht weiter nach Merseburg reiten, sondern
nach Goslar zurückkehren, um dort das Pfingstfest
zu feiern.
So geschah es.
Treuebekundungen aus allen Teilen des Reichs
erreichten die Kaiserin, die sich häufig
zu stillem Gebet in ihre Kapelle zurückzog.
Der König, der sich nicht von seinem jungen
Hundefreund trennen mochte, blieb lange Zeit
verstummt, obwohl sich Erzbischof Anno persönlich
um ihm kümmerte und erklärte, der
allmächtige Vater im Himmel habe ein Zeichen
gesandt, daß die Kindheit des Königs
vorbei sei. Nun beginne die Zeit des Lernens.
Heinrich dürfe nicht mehr in den Gemächern
seiner Mutter schlafen, sondern müsse zu
ihm übersiedeln.
Als die Kaiserin von Annos Worten erfuhr, eilte
sie zu ihm und herrschte ihn in meinem Beisein
an: »Heinrich bleibt bei mir, der Regentin!«
»Als Erzkanzler des Reichs bin ich für
die rechte Erziehung des Königs verantwortlich.
Und für seinen Schutz.« Annos Stimme
blieb abweisend und kalt.
Noch nie hatte ich Kaiserin Agnes so außer
sich vor Zorn erlebt. Trotz ihrer zarten Stimme
schrie sie: »Für seinen Schutz? Wo
blieb dein Schutz, als die Sachsen ihn ermorden
wollten? Du rittest mit deinen Leuten feige
am Ende des Zuges. Vielleicht hast du sogar
... wolltest du ...«
Sie unterbrach sich, als sie sah, wie sich Annos
Gesicht verzerrte. Mit einem gänzlich unchristlichen
und für einen Erzbischof unwürdigen
Fluch stürzte er vondannen.
Da stand ich nun allein mit der Kaiserin, die
sich nur mühsam beruhigte. Was sollte ich
tun? Als kleiner Scriptor durfte ich nicht wagen,
ein besänftigendes Wort an sie zu richten.
Sie indes ergriff meinen Arm, Tränen in
den Augen, und bat mich um Vergebung. Ich stammelte
hilflos Worte der Heiligen Schrift. Die Kaiserin
schien sich in diesem Augenblick an unsere erste
Begegnung zu erinnern: Sie fiel in die Sprache
ihrer Heimat und flüsterte: »Ihr,
die ihr keine Kinder haben dürft, könnt
eine Mutter nicht verstehen.«
Mein Mund verschloß sich mir; denn wie
hatte sie unrecht!
Die Glocke ruft mich zum mitternächtlichen
Gebet. Gloria in excelsis deo!