FAQ -
HÄUFIG
GESTELLTE FRAGEN AN
DEN AUTOR
Für
wen schreiben Sie?
Wie würden Sie die
Ziele Ihres Schreibens
definieren?
Was ist für Sie die
wichtigste Aufgabe des
historischen
Romans?
Was ist historische
Wahrheit in Ihrem
Roman, was
erfunden?
Welche Funktion hat
die Sprache in Ihren
historischen
Romanen?
Worin sehen Sie die
allgemeine Aufgabe
erzählender Literatur?
ANTWORTEN
Für
alle, die an Menschen
und ihren Schicksalen
interessiert sind, die
sich lesend entführen
lassen wollen in
Gegenden, die sie noch
nicht kennen, wobei ich
dies nicht geographisch
meine, für alle, die
menschliches Verhalten
als grundlegend
ambivalent begreifen.
Für mich sind Leser
Geschwister im Geiste.
Ich möchte sie fesseln,
berühren, erschüttern
womöglich. Daher halte
ich nichts davon, sie
absichtlich vor den Kopf
zu stoßen, zu verwirren,
zu belehren oder gar
Propaganda zu treiben.
Ich gehöre, um mit
Jonathan Franzen zu
sprechen, zu den
"contract-", nicht zu
den "status"-Autoren.
Das heißt: Ich schreibe
für Leser, die
anspruchsvolle
"Unterhaltung" mögen.
Diese Art von
Unterhaltung hat mit
Klischeemustern von gut
und böse, schön und
häßlich, von siegreichen
Helden und
leidenschaftlichen
Heldinnen wenig zu tun.
Auch Melodramatik und
Kolportageelemente sagen
kaum etwas aus über die
(fehlende) Qualität
eines literarischen
Werks - der größte
Dichter dieser Elemente
war in meinen Augen
William Shakespeare.
Ich
versuche, intelligente,
gut lesbare, spannende,
kurz: fesselnde Romane
zu schreiben nach den
Lebensgeschichten, auf
die ich stoße. Mich
interessiert, wie die
Menschen allgemein und
in einem besonderen
historischen Kontext
agieren und reagieren,
wie sie leben und
lieben, kämpfen und
untergehen oder auch
siegen. Ich möchte ihr
Leben so darstellen, daß
man ihrer Geschichte
gebannt folgt, getroffen
und womöglich
erschüttert, daß man
schmunzelt und lacht,
daß man sich
wiedererkennen oder
abgrenzen kann. Eine
solche Aufgabe erfordert
eine komplexe Handlung,
eine durchdachte
szenische Dramaturgie,
eine differenzierte
Sprache und
Figurendarstellung und
klare Perspektiven.
Um
diese Frage zu
beantworten, kann man
auf die alten Definition
des Horaz zurückgreifen:
der Roman soll prodesse
et delectare, nützen und
erfreuen, er soll über
eine historische Epoche
und die Schicksale der
Menschen, die in ihr
lebten, berichten und
informieren, und zwar
auf unterhaltsame Weise.
Das heißt, er soll die
Leser fesseln, er soll
sie neugierig machen,
Anteil nehmen lassen,
ihre Emotionen
ansprechen, ihre
Fähigkeit zum Einfühlen
und Mitleiden. Dabei
steht das Individuum im
Vordergrund, seine
Konflikte, sein Kampf,
seine Auseinandersetzung
mit den Erfordernissen
und Zumutungen seiner
Zeit. Die Historie
erscheint uns in unserer
sozial abgefederten
Lebensweise als ein Ort
der Risiken und des
unkalkulierbaren
Schicksals mit heftigen
Ausschlägen nach allen
Seiten. Die Liebe
scheint absoluter
gewesen zu sein, das
Leiden heftiger. Dabei
ist das Geschichtliche
ist nicht nur Kulisse,
sondern Mitspieler,
Milieu und exotische
Fremde, über die wir
ebenfalls etwas erfahren
wollen.
Jeder gute historische
Roman ist auf der einen
Seite eine Studie der
conditio humana, auf der
anderen Seite das
farbige, lebenspralle
Bild einer Epoche: nicht
wie sie war - dies wird
sich selten zweifelsfrei
feststellen lassen -,
sondern wie sie gewesen
sein könnte.
Einen historischen Roman
zu schreiben ist wie der
Versuch, die Quadratur
des Kreises herzustellen
zwischen heute und
damals, zwischen
Überliefertem und
Phantasiertem,
Wirklichkeit und
Möglichkeit, zwischen
historischen
Zufälligkeiten und
dramaturgischer
Zuspitzung, zwischen
individuellem Schicksal
und kollektiver
Geschichte. Man kann
auch sagen, daß ein
historischer Roman, so
wie ich ihn verstehe,
einen Spagat vollbringen
sollte: eine ferne und
fremde Epoche in ihren
lebendigen
Alltagsstrukturen, in
ihren Denk- und
Fühlmustern uns Heutigen
näher bringen. Dabei muß
das Fremde so bewahrt
werden, daß wir etwas
Neues erfahren und
staunen können;
gleichzeitig muß es noch
verständlich sein, damit
wir uns nicht
kopfschüttelnd,
"befremdet", abwenden.
Ich habe versucht, das
Lebensgefühl der
Renaissance und des
Mittelalters heutigen
Leserinnen und Lesern
verständlich zu machen;
ich wollte sie in die
Vergangenheit
hineinführen und ihnen
gleichzeitig die
Vergangenheit zuführen,
nahebringen. Auch für
mich selbst waren die
Reisen in die
Vergangenheit eine
permanente Quelle des
Staunens und
Nachdenkens, des
Einfühlens und
Mitfühlens.
Ein anderer Aspekt kommt
hinzu. Es gibt zahllose
historische Romane über
die Heroen unserer
Vergangenheit: über
Alexander den Großen und
Elisabeth die Erste,
über Eleonore von
Aquitanien und Hannibal
ante bzw. ad portas. An
ihnen entzünden sich
unsere Bewunderung,
unser Staunen, unser
Schaudern. Ich
persönlich interessiere
mich eher für die zu
Unrecht in Vergessenheit
geratenen Personen der
Geschichte. Sie hätten
vielleicht große oder
berühmte Männer und
Frauen werden können,
die Umstände jedoch
ließen sie kurz vor
ihrem Ziel scheitern
oder zerstörten sie,
bevor sie sich entfalten
konnten. Häufig waren es
Opfer, die im Schatten
der berühmten oder auch
berüchtigten Täter
untergingen. Manchmal
fehlte ihnen auch nur
das Strahlende, das
Eindeutige oder einfach
die historische Kulisse,
vor der sie agieren und
sich abheben konnten.
Solche Menschen dem
Vergessen zu entreißen,
sie wieder ins Licht
unseres Erinnern zu
heben, empfinde ich als
eine meiner
vornehmlichen Aufgaben.
Daher wollte ich die
blutige Geschichte der
braven Waldenser des
Luberon einem breiten
Publikum bekannt machen,
lange bevor
Hinweisschilder zu den
Stätten ihres Wirkens
und Sterbens aufgestellt
wurden. Aus den
spärlichen Quellen über
Silvia Ruffini, die
einem späteren Papst
vier Kinder schenkte und
die Grundlage für eine
italienische Dynastie
schuf, die aber dennoch
nie in die
Öffentlichkeit trat,
wollte ich ein Denkmal
für eine Vergessene, für
ein vergessenes
Schicksal formen. Auch
Caterina Sforza - im
deutschen Bewußtsein
kaum bekannt - kann für
uns ein Beispiel sein
für einen Menschen
höchst ambivalenter
Prägung: Opfer und Täter
zugleich, zu ihrer Zeit
berühmt und berüchtigt,
angebetet und
gedemütigt. Das gleiche
kann man sagen vom
deutschen König
Heinrich, der den Gang
nach Canossa antrat, von
seinem päpstlichen
Gegenspieler sowie der
italienischen Markgräfin
Mathilde von Canossa.
Es gibt so viele Opfer
und Vergessene,
unglaubliche Schicksale,
tragische
Verstrickungen,
Tapferkeit bis zum Ende,
absurde Größe,
gnadenlose Demütigungen.
Wer von ihnen liest,
findet etwas, das er der
Banalität täglicher
Seifenopern
entgegensetzen kann.
Was
ist historische
Wahrheit in Ihrem
Roman, was
erfunden?
Die
Vermischung von Fakten
und Fiktionen ist ein
grundlegendes Merkmal
des historischen Romans.
Ich versuche, so nah wie
möglich an der
überlieferten Geschichte
zu bleiben, ohne die
Anforderungen eines
fesselnden Romans zu
vernachlässigen. Dabei
sollte sie nicht nur
mehr oder weniger
exotische Kulisse sein,
vor der ein beliebiges
Geschehen abläuft,
sondern Mitspieler,
zumindest ein Raum, auf
den sich unsere Neugier
richtet, die Fremde, die
uns erstaunt und
fasziniert.
Ich benutze bekannte
historische Daten über
die Personen, über die
ich schreibe,
veröffentlichtes
Archivmaterial und
biographische
Darstellungen, Berichte
über Feste,
Beerdigungen,
Schlachten, Prozesse
usw. Ich recherchiere
das alltags- und
kulturgeschichtliche
Umfeld, besuche die
Schauplätze meiner
Romane.
Mich interessiert jedoch
in erster Linie nicht
das äußere Geschehen,
sondern die
Innendimension, das
Seelenleben der Figuren,
die Grundlagen ihrer
Entscheidungen, ihre
Motive, die Art und
Weise, wie sie ihr
Schicksal meistern usw.
Darüber gibt es bis zum
18. Jahrhundert kaum
Quellen.
Ich gestalte die Figuren
also nach dem, was auf
der einen Seite
historisch überliefert
ist und was auf der
anderen Seite
psychologisch wie
historisch Sinn macht
und heutige Leser
nachvollziehen können.
Zu betonen ist, daß ich
historische Romane,
keine Biographien oder
Sachbücher schreibe. Das
heißt: Ich möchte den
dramaturgischen
Erfordernissen eines
fesselnden Romans
nachkommen. Ich brauche
Protagonisten, die in
ihrer Tiefe höchst
ambivalent sind. Ich
brauche innere wie
äußere Konflikte, dazu
melodramatische Momente,
damit ich
gefühlsgeladene
action-Szenen gestalten
kann. Ich benötige den
Aufstieg und den tiefen
Fall, Gefahren und
Geheimnisse, das Opfer
und die Rettung.
Um dieses Ziel zu
erfüllen, konstruiere
ich aus dem Material,
das mir über die
Personen zur Verfügung
steht, aus meinem
historischen Vorwissen
über die Zeit und meiner
narrativen Phantasie
eine Geschichte.
Wieweit erlaube ich mir
nun, historisch bekannte
Fakten zu verändern? Mit
dieser Fragestellung muß
ich mich in der Planung,
im Entwurf und im
aktuellen Schreibvorgang
immer wieder
auseinandersetzen.
Es gibt Steckbriefdaten,
die ich nicht verändere:
Geburtsjahr, Namen, den
beruflichen Werdegang
etc. der Personen. Dann
gibt es Daten, die man
um der Erzählökonomie
willen streichen muß: So
zum Beispiel eine große
Anzahl von
funktionslosen
Geschwistern. Oder
politische
Entwicklungen, die
chaotisch und wirr sind,
bei denen permanent die
Alliancen gewechselt
werden. Hier muß man
Akzente setzen, die
großen Linien
herausstellen und den
Rest weglassen, weil
seine Darstellung
langweilen würde.
Natürlich muß man auch
das Personal, denen die
Protagonisten begegnen,
reduzieren. Gerade bei
historisch bekannten
Persönlichkeiten
entstehen sonst
überbordend lange,
undurchsichtige Romane,
bei denen der Leser kaum
den Überblick behalten
kann.
Dies sind
handwerklich-technische
Aspekte. Interessanter
wird es bei der
Entwicklung von
Charakterstrukturen. Zum
einen gibt es in der
Regel kaum Zeugnisse,
die die Charaktere der
historischen Personen
benennen, und wenn, dann
handelt es sich meist um
Charakterklischees im
typischen Zeitdiskurs:
gerecht, mitleidig,
tapfer, tugendhaft usw.
(Selbst die persönlichen
Briefe der jungen
Caterina Sforza, der
Hauptfigur meiner
"Madonna von Forlì",
enthalten nur Floskeln,
die mehr verdecken als
enthüllen.) Solche
Charakterklischees sind
nur grobe Anhaltspunkte,
die zudem häufig von der
Parteien Gunst oder
Mißgunst geprägt sind.
Dann gibt es die
Lebensfakten (so wie
Alessandro Farneses
Flucht aus der
Engelsburg oder ihre
Eroberung durch die
junge, schwangere
Caterina Sforza), aus
denen man
Schlußfolgerungen ziehen
kann. Auf diese Weise
entsteht ein vages
Charakterbild, das der
Romancier ausfüllen muß.
Aus den ihm zur
Verfügung stehenden
Zeugnis-Fragmenten
bildet er eine "runde",
differenzierte,
ambivalente Figur.
Sprache
bleibt für mich in
erster Linie
Vermittlerin: Sie soll
die Aufmerksamkeit auf
das beschriebene Objekt
oder die Person lenken,
sie soll Figuren, Szenen
und Schauplätze klar,
präzise und plastisch
darstellen. Die
Klarheit, so hat ein
französischer Autor
einmal gesagt, ist die
Höflichkeit der
Schriftsteller. Im
Gegensatz zu den
épater-le-bourgeois-Berserkern
halte ich viel von
Höflichkeit. Die Sprache
soll farbig, elegant und
rhythmisch sein, wenn
nötig, auch drastisch.
Sie sollte auf
verschiedenen Stilebenen
eingesetzt werden,
spezifische Idiome
treffen und Figuren
charakterisieren. In all
diesen Bereichen ist
Sprache nicht
Selbstzweck oder gar
autopoetische Maschine,
sie weist über sich
hinaus, um Bilder,
Vorstellungen und
Gefühle zu evozieren und
zu suggerieren. Ideal
wäre, der Leser könnte
einen inneren Film
verfolgen, mehr noch: in
ihm wie in einem Traum
anwesend sein. Es ist
viel schwerer, genau
diejenigen Worte
niederzuschreiben, die
etwas in vielen Lesern
auslösen, was sie
anzieht, hineinzieht,
nicht wieder losläßt,
als sprachliche
Experimente sich
auszudenken und dann
nach dem immer gleichen
Strickmuster
durchzuziehen.
Die
Literatur spiegelt die
individuelle
Erfahrungsgeschichte der
Menschen, die
Selbstdeutungen, die
Deutungen ihres
Schicksals, ihrer Zeit,
auch vergangener
Epochen. Sie stellt sie
so dar, daß wir uns in
ihr wiedererkennen und
gleichzeitig mehr über
uns erfahren, als wir
vorher wußten. Oder daß
wir jetzt genauer
wissen, was wir bisher
nur ahnten. Sie
vermittelt uns diese
Erkenntnisse und
Erfahrungen auf eine
lustvolle,
gefühlsintensive Art und
Weise, das heißt sie
fasziniert und fesselt
uns, sie erweckt unsere
Neugier mit den Mitteln
der Spannung und des
Geheimnisses. Sie
erweitert unsere
Phantasie, indem sie
Vorstellungen evoziert,
die wir vorher in dieser
Form noch nicht hatten.
Literatur ist das innere
und verinnerlichte
Gespräch der Menschen
mit sich selbst: Durch
die Veröffentlichung
wird das Selbstgespräch
ein Gespräch mit
anderen. Auf diese Weise
entsteht eine kollektive
Selbstdeutung und
Sinnstiftung, die ein
Urbedürfnis des Menschen
ist. In einer solchen
Sinnstiftung besteht das
Fernziel, die höchste
Funktion künstlerischen
Schaffens und damit auch
des Erzählens: Die
fragmentarischen und
zufallsbedingten
Erfahrungen der Menschen
mit sich und der Welt in
einen stimmigen
Zusammenhang zu bringen.
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